Warum MRT-Befunde nicht immer die Ursache für Schmerzen sind
Moderne Medizin: Bildgebung durch MRT
In der modernen Medizin ist die Bildgebung wie das MRT (Magnetresonanztomographie) ein unverzichtbares Werkzeug zur Diagnose von Verletzungen und Erkrankungen. Doch viele Patienten sind überrascht, wenn ein MRT-Befund nicht eindeutig zu ihren Schmerzen passt. Tatsächlich zeigt die Wissenschaft, dass nicht jeder auffällige Befund im MRT Schmerzen verursacht – und umgekehrt kann starker Schmerz bestehen, ohne dass ein Schaden sichtbar ist. Aber warum ist das so? In diesem Blogartikel erklären wir die faszinierende Komplexität von Schmerz und seine oft fehlende Verbindung zu Bildgebungsergebnissen. Abders gesagt lernst du warum Schmerz nicht gleichbedeutend mit Schaden ist.
Beispiele für MRT-Befunde bei Gesunden
Viele Studien haben gezeigt, dass MRT-Befunde wie Bandscheibenvorfälle, Knorpelschäden oder Veränderungen der Gelenke auch bei Menschen auftreten, die keinerlei Beschwerden haben. Zum Beispiel:
- Rückenprobleme[1]: So viele Gesunde(=Menschen ohne Schmerzen) müssten laut MRT, heftige Probleme haben:
- 1/3 Menschen über 30 Jahre
- ½ Menschen über 50
- Jeder Mensch über 80 Jahre
- Knieprobleme [2]:
- 97% der Menschen über 30 haben mindestens eine Abweichung im MRT-Bild des Knies
- 1 von3 Menschen ohne Schmerzen hat einen Meniskusriss
- Schulterprobleme [3]
- Laut MRT kein unterschied zwischen Menschen mit SAPS (früher Impingment genannt) und gleichaltrigen ohne Schmerzen
Diese Beispiele zeigen, dass ein auffälliger Befund im MRT nicht zwingend Schmerz bedeutet. Aber warum empfinden wir dann überhaupt Schmerzen?
Schmerz ist nicht gleich Schaden
Die Idee, das Schmerz dem Schaden entspricht, stammt aus dem letzten Jahrtausend. Auch wenn intuitiv jeder der Aussage. „Wenn viel weh tut, muss viel kaputt sein“ zustimmen würde, ist das eine zu einseitige oder biomechanische Betrachtung.
Schmerz ist ein hochkomplexes Phänomen, das weit über eine rein körperliche Schädigung hinausgeht. Die internationale Schmerzgesellschaft definert Schmerz als: „ Tatsächliche oder DROHENDE Gewebeschädigung.“ Im Folgenden werfen wir einen Blick auf drei Schlüsselfaktoren, die unsere Schmerzwahrnehmung beeinflussen.
1. Umgebungsfaktoren – Schmerz im sozialen und psychischen Kontext
Stell dir vor ein Steinzeitmenschen flüchtet vor einem Säbelzahntiger und verknackt sich den Knöchel. Denkst du, ihm tut der Knöchel weh oder merkt er ihn erst, wen er sicher in der Höhle angekommen ist? Vermutlich sagst du sofort: Der merkt den Schmerz erst, wenn er dem Maul des Tigers entkommen ist. Deswegen halten wir fest: Schaden ist nicht gleich Schmerz- es müssen noch andere Komponenten mit reinspielen.
Hattest du schon mal Schmerzen, die du während einer spannenden Tätigkeit nicht mehr gespürt hast? Viele Patienten in unserer Physiotherapiepraxis berichten, dass der Schmerz beim Tatort schauen wie weggeblasen sind. Schmerzen entstehen nicht isoliert. Emotionale Belastungen, Stress und sogar die Umgebung, in der wir uns befinden, können Schmerz verstärken. In der Wissenschaft heißt es, dass Schmerzen Bio-psycho-sozial sind.
![Biopsychosozalies Schmerzmodell in der Physiotherapie]()
- Biologisch (BIO):
- Neandertaler: Der Neandertaler hat sich seinen Knöchel umgeknickt
- MRT: Auf der MRT-aufnahme sieht man einen Bänderriss
- Psychologisch (PSY):
- Neandertaler: Er denkt sich: Bloß heimkommen- ich darf nicht stehen bleiben
- MRT: Negative Erwartungen („Das MRT hat etwas gefunden, also muss ich etwas Schlimmes haben“) können Schmerzen zusätzlich steigern – unabhängig vom tatsächlichen körperlichen Befund.
- Sozial (SOZ):
- Neandertaler: Seine Frau drückt ihn und sagt ihm wie froh sie ist, dass er es heim geschafft hat
- MRT: „siehst du Schatz- das Bild sagt, da ist was-auch wenn du denkst,: „das geht schon.“- schon dich erstmal
2. Der sensorische Homunculus – die Landkarte im Gehirn
Unser Gehirn verarbeitet Schmerzreize (die wir besser Gefahrenbotschaften nennen) auf einer Art innerer Landkarte, dem sensorischen Homunculus. Hier ist jeder Bereich des Gehirns einem Körperteil zugeordnet. Körperteile, die man gut spürt, wie zum Beispiel die Zunge, werden als größer wahrgenommen. Logischerweise ist die gleiche Verletzung an Stellen, die man gut spürt intensiver als an anderen Stellen. Was meinst du: Tut es mehr weh, wenn du dich mit einem Papier in den Finger schneidest oder in den Ellenbogen?
![Homunkulus Schmerz verstehen in der Physiotherapie]()
3. Modulation – die Schmerzverstärkung oder -hemmung
Wie kommt es jetzt, dass unser Steinzeitheld keine Schmerzen spürt, während er flüchtet? Unser Nervensystem besitzt die Fähigkeit, Schmerzreize zu verstärken oder zu hemmen. Das nennt man Modulation. Zum Beispiel schüttet unser Körper in Gefahrensituationen Adrenalin aus, um unser Kampf oder Fluchtreaktion zu unterstützen, indem sie die Gefahrenbotschaften ausschalten. Diese Modulation wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, darunter Stress, Schlafmangel und körperliche Aktivität. Ein auffälliger MRT-Befund wird intensiver wahrgenommen, wenn das Nervensystem auf „Alarmbereitschaft“ eingestellt ist.
Bei chronischen Problemen funktioniert dieses System zu gut. Du kannst es dir vorstellen wie eine Alarmanlage. Wenn einmal bei dir eingebrochen wurde, stellst du sie feiner ein, damit sie das nächste Mal schon losgeht, wenn der Einbrecher nur am Haus vorbeiläuft. Gewissermaßen geht die Alarmanlage schon los, wenn eine Fliege durch den Raum fliegt, wenn die Alarmanlage oft genug feiner und feiner eingestellt wurde. Anders gesagt aus einer kleinen Gefahrenbotschaft wird eine riesige Gefahrenwarnung. Diese Menschen haben dann viel Schmerz, obwohl kaum Gewebe beschädigt wurde.
Fazit: Bildgebung ist wichtig, aber nur im richtigen Kontext
Die MRT-Bildgebung ist ein mächtiges Werkzeug, wenn sie richtig eingesetzt wird. Sie kann wertvolle Hinweise auf Verletzungen oder Erkrankungen liefern – aber nur, wenn die Befunde zu den Symptomen des Patienten passen. Als Physiotherapeuten ist es uns wichtig, dass das MRT schlimme Befunde ausschließt ( was es definitiv kann). Schmerzen sind ein komplexes Zusammenspiel aus körperlichen, psychischen und sozialen Faktoren. Daher ist es entscheidend, den Menschen als Ganzes zu betrachten und nicht nur die Bilder.
In der Physiotherapie liegt unser Fokus darauf, die individuellen Ursachen von Schmerzen zu verstehen und gemeinsam mit unseren Patienten ganzheitliche Lösungen zu entwickeln. Denn: Schmerz ist nicht gleich Schaden.
Quellen:
Die folgenden Quellen dienen dir as Nachschlagwerke:
[1] Brinjikji, Waleed, et al. "Systematic literature review of imaging features of spinal degeneration in asymptomaticpopulations." American journal of neuroradiology 36.4 (2015): 811-816.
[2] Horga, Laura M., et al. "Prevalence of abnormal findings in 230 knees of asymptomatic adults using 3.0 T MRI.Skeletal radiology 49 (2020): 1099-1107.
[3]Frost, Poul, Johan Hviid Andersen, and Erik Lundorf. "Is supraspinatus pathology as defined by magnetic resonance imaging associated with clinical sign of shoulder impingement?" Journal of Shoulder and Elbow Surgery8.6 (1999): 565-568.
https://www.iasp-pain.org/ zuletzt aufgerufen 08.01.25
Butler, David S., G. Lorimer Moseley, and Martina Egan Moog. Schmerzen verstehen. Berlin Heidelberg New York Tokio: Springer, 2009.
Bildquellen:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sensory_Homunculus-en.svg
https://pixabay.com/users/jarmoluk-143740/